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Erzähl Mal! – Der Podcast zum Thema Mental Health

Erzähl Mal! – Der Podcast zum Thema Mental Health

By: Doc Murafi
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In diesem Podcast erklärt Dr. Murafi – Chefarzt der Klinik Walstedde für Kinder- und Jugendpsychiatrie – verständlich und praxisnah psychische Erkrankungen wie Trauma, Borderline, Depression so wie viele weitere. Mit Beispielen aus Klinik und Forschung werden komplexe psychodynamische Zusammenhänge greifbar gemacht. Betroffene, Angehörige und Fachleute erhalten Einblicke in Symptome, Ursachen und Behandlungskonzepte – immer mit dem Ziel, mehr Verständnis, Aufklärung und Hoffnung zu vermitteln.Doc Murafi Hygiene & Healthy Living Psychology Psychology & Mental Health
Episodes
  • Die Symptome der Borderline Störung #4
    Oct 10 2025

    In dieser Folge von Erzähl mal setzen wir unsere Reihe zur Borderline-Störung fort – diesmal mit einem Blick auf zwei Symptome, die häufig missverstanden werden, aber entscheidend zum Verständnis des Krankheitsbildes beitragen: Dissoziation und psychosenahe Erlebensweisen. Beide Phänomene zeigen, wie tief die frühe strukturelle Störung in Wahrnehmung, Beziehung und Selbstempfinden eingreift.

    Wir beginnen mit der Dissoziation – einer frühen, unbewussten Schutzreaktion des Nervensystems. Wenn Gefühle wie Angst, Wut oder Scham so intensiv werden, dass sie nicht mehr aushaltbar sind, „schaltet“ der Körper auf Notbetrieb. Die Betroffenen wirken dann wie „weggebeamt“: Blick starr, Pupillen weit, kaum Ansprechbarkeit. Das Gehirn trennt das emotionale Erleben vom Hier und Jetzt, um Überwältigung zu vermeiden. Diese Form des inneren Rückzugs schützt kurzfristig, führt aber langfristig zu Isolation, Entfremdung und dem Gefühl innerer Leere.

    Um der Leere zu entkommen, werden häufig starke Reize gesucht: Selbstverletzung, Substanzkonsum, provokative Konflikte oder riskantes Verhalten. Paradox, aber funktional – denn Schmerz, Streit oder Gefahr schaffen wenigstens das Gefühl, etwas zu spüren. Dissoziation wird so zu einem Teufelskreis: Sie schützt vor Überflutung, verstärkt aber die Trennung von sich selbst und anderen.

    Ein zweites zentrales Thema dieser Episode sind psychosenahe Symptome. Wenn die Ich-Struktur – also das innere Gerüst, das zwischen „Ich“ und „Du“, zwischen innen und außen unterscheidet – nicht stabil ausgebildet ist, kann es zu Phänomenen kommen, die an Psychosen erinnern: Misstrauen, paranoide Gedanken („Die reden über mich“, „Die wollen mir etwas“), übersteigerte Selbstbezüge oder kurzzeitige Sinnestäuschungen wie Stimmenhören oder das Gefühl, berührt zu werden. Diese Symptome entstehen nicht aus Wahn, sondern aus der Durchlässigkeit der Ich-Grenzen – dem Verlust der inneren Dichte, die normalerweise Sicherheit und Realitätsgefühl vermittelt.

    Oft bestehen dabei Überlappungen zwischen Borderline-Störung und Traumafolgestörungen. Dissoziation ist auch bei Traumatisierungen ein zentrales Symptom, und viele Menschen mit Borderline-Struktur haben zusätzlich traumatische Erfahrungen gemacht. Das erschwert die Behandlung, weil Trauma- und Beziehungsthemen sich gegenseitig triggern: Sobald Nähe entsteht, tauchen Erinnerungen auf; sobald man Distanz schafft, kehrt die Leere zurück. Therapie bedeutet hier, Balance zu lernen – zwischen Fühlen und Aushalten, Nähe und Schutz.

    Trotz der Komplexität endet diese Folge mit einer wichtigen Botschaft: Die Prognose hat sich verbessert. Durch spezialisierte Therapieformen, besseres Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen und tragfähige therapeutische Beziehungen ist heute deutlich mehr möglich als noch vor wenigen Jahrzehnten.

    Wir laden euch ein, mitzudenken, zu hinterfragen und mitzuschreiben. Welche Beschreibungen helfen beim Verstehen, wo bleibt Unklarheit? Schickt uns eure Fragen und Erfahrungen – denn: Vor jedem „Erzähl mal“ steht ein „Ich hör mal“.

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    11 mins
  • Die Symptome der Borderline Störung #3
    Sep 29 2025

    In dieser Folge des Erzähl mal Podcasts setzen wir die Auseinandersetzung mit den Symptomen der Borderline-Persönlichkeitsstörung fort und widmen uns einem besonders schwierigen, aber zentralen Themenfeld: den sogenannten primitiven Abwehrmechanismen. Diese Mechanismen sind keine bewussten Strategien, sondern unbewusste Schutzfunktionen, die dann zum Einsatz kommen, wenn eine stabile psychische Struktur im Laufe der frühen Entwicklung nicht entstehen konnte.

    Im Mittelpunkt stehen drei Phänomene:

    Spaltung: Gefühle und Wahrnehmungen, die eigentlich nebeneinander bestehen könnten, werden als unvereinbar erlebt. Eine Person ist entweder „ganz gut“ oder „ganz schlecht“ – ein differenziertes, ambivalentes Bild ist kaum möglich. Das kann nicht nur das Selbstbild der Betroffenen destabilisieren, sondern auch Beziehungen und sogar ganze Teams spalten. Von außen wirkt das oft wie eine bewusste Manipulation, tatsächlich handelt es sich jedoch um ein unwillkürliches, tief verankertes Muster.

    Projektion: Innere Zustände wie Angst oder Wut lassen sich nicht halten und werden anderen zugeschrieben. „Der andere ist wütend auf mich“ – obwohl es die eigene, nicht regulierte Wut ist. Dieses Phänomen kann so stark sein, dass die angesprochene Person selbst in den Sog gerät und tatsächlich wütend reagiert. Projektion schafft damit kurzfristig Entlastung, destabilisiert aber langfristig Beziehungen.

    Verleugnung: Eine Realität, die zu schmerzhaft oder bedrohlich wäre, wird innerlich „weggeschoben“. Gefühle oder Tatsachen, die schwer auszuhalten sind, existieren im Erleben nicht. Das kann kurzfristig schützen, führt aber dazu, dass notwendige Auseinandersetzungen und Verarbeitung blockiert werden.

    Therapeutisch ist wichtig: Diese Mechanismen sind nicht „falsch“, sondern Überlebensstrategien. Sie zeigen an, wo das Nervensystem überfordert ist und wo differenzierende Fähigkeiten erst Schritt für Schritt erarbeitet werden müssen. Psychoedukation, klare Strukturen, sichere Bindungserfahrungen und die Möglichkeit, Gefühle zu benennen und zu halten, bilden hier zentrale Bausteine.

    Unser Anliegen bleibt: Verständnis fördern statt zu verurteilen. Was von außen widersprüchlich oder „irrational“ erscheint, ist im Erleben der Betroffenen ein ernsthafter Versuch, mit überwältigenden inneren Zuständen umzugehen.

    Wir laden euch ein, mitzudenken und mitzuteilen: Welche Beschreibungen passen, wo braucht es Ergänzungen oder Korrekturen? Schreibt uns gerne eure Gedanken – denn bevor jemand „Erzähl mal“ sagt, braucht es ein aufmerksames „Ich hör mal“.

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    12 mins
  • Die Symptome der Borderline Störung #2
    Sep 17 2025

    In dieser Folge vertiefen wir zentrale Symptome der Borderline-Störung und ordnen sie alltagsnah ein. Ausgangspunkt ist eine unbequeme, aber wichtige Annahme: Frühe Resonanzdefizite – also eine unzureichende emotionale Antwort auf die Signale des Säuglings in den ersten Lebensmonaten – können die Grundlage einer „frühen strukturellen Störung“ bilden. Das anzusprechen ist sensibel, weil schnell Schuld- und Schamgefühle auftauchen. Unser Ziel ist kein Fingerzeig, sondern Verstehen: Zusammenhänge sichtbar machen, damit Behandlung zielgerichteter werden kann.

    Wir knüpfen an das Bild des „Säuglings-Nervenkostüms“ an: Kognitiv und körperlich längst jugendlich oder erwachsen – aber in zentralen Bereichen der Emotions- und Impulsregulation noch ohne stabile Selbstberuhigung und Affektdifferenzierung. Das erklärt, warum manche Gefühle nicht „ein Teil des Erlebens“, sondern „alles“ werden: Angst, Wut – und die schwer auszuhaltende innere Leere.

    Im Fokus dieser Episode stehen drei Phänomene:

    • Überlebensangst & Verlassenwerden: Für den Säugling bedeutet Alleinsein potentiell Lebensgefahr. Wenn dieses Muster fortwirkt, wird Nähe zwar ersehnt, aber kaum genossen – denn parallel meldet sich die Erwartung des Verlusts. Daraus entstehen paradoxe Strategien: lieber „vorwegnehmen“ und Beziehungen abbrechen, als das drohende Verlassenwerden auszuhalten.

    • Fehlende Objektkonstanz: Wer emotional gebunden ist, „hat“ die andere Person innerlich – auch wenn sie physisch abwesend ist. Fällt diese Fähigkeit weg, fühlt sich Abwesenheit wie Verschwinden an. In Kombination mit Verlustangst verstärkt das heftige Beziehungsschwankungen und Selbstzweifel.

    • Innere Leere & Affektdifferenzierung: Wenn ein stabiles Bild von sich selbst (Vorlieben, Werte, Körperlichkeit, Sexualität, Orientierung) nicht entstehen konnte, bleibt oft ein Vakuum zurück. Viele Betroffene beschreiben das als quälende Leere, die mit intensiven äußeren Reizen „überstimmt“ werden soll – bis hin zu Selbstverletzung oder suizidalen Impulsen. Von außen wirkt das irrational; im Erleben ist es der Versuch, überhaupt etwas zu spüren oder Kontrolle zurückzugewinnen.

    Therapeutisch bedeutet das: Psychoedukation und Affektarbeit (Gefühle benennen, unterscheiden, an Auslöser binden) sind keine Nebensache, sondern Grundpfeiler. Ebenso wichtig sind beziehungs- und stabilitätsfördernde Rahmenbedingungen, die Nähe ermöglichen, ohne zu überfluten – denn „mehr Liebe“ allein ist keine Lösung, wenn das Nervensystem mit Intensität (auch positiver) überfordert ist.

    Wir laden euch ein, mitzudenken und mitzufühlen: Welche Beschreibungen passen, wo braucht es Korrektur oder Ergänzung? Teilt eure Fragen und Erfahrungen gern in den Kommentaren – denn: Vor jedem „Erzähl mal“ kommt ein „Ich hör mal“.

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    11 mins
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