• Extra: Von Genossen erschossen
    May 13 2025
    „Eran polvo, mas, polvo enamorado?“ – „Sie werden Staub sein, aber verliebter Staub?" Mein Lieblingsgedicht von Roque Dalton. „Nach der Atombombe“ ist der Titel dieses Epigramms. Das mich immer wieder zu Karaoke anstiftet: Braucht man den Titel? Ist das nicht die wichtigste Frage nach jedem Tod? Und gilt das nicht für uns alle? Sollte es nicht noch besser lauten: „ Wir werden Staub sein. Aber Staub, der geliebt hat?“ „Seremos polvo, pero polvo amó?“ Noch ein Karaoke: „Wir werden Sternenstaub sein. Aber Sternenstaub, der geliebt hat?“ Das ihn mit dem nicaraguanischen Dichter Ernesto Cardenal verschmilzt, der mir als erster von Roque Dalton erzählt hat. Den sie damals alle kannten und verehrten. Damals, in den 1970er Jahren. Als sie in Nicaragua nicht ahnten, dass sie ein ähnliches Schicksal treffen würde: Kinder einer Revolution, die ihre Kinder fressen würde. Roque Dalton wurde am 14. Mai 1935 in San Salvador geboren. Schon als junger Mann engagierte er sich politisch gegen die rechte Diktatur in El Salvador. Zweimal wurde er zum Tode verurteilt, zweimal entging er wie durch ein Wunder der Exekution. Nach Jahren des Exils kehrte er heimlich nach El Salvador zurück und schloss sich der Guerilla an. Am 10. Mai 1975 erschossen ihn die eigenen Genossen unter dem Vorwand ein Agent der CIA zu sein. Was in Wahrheit Folge eines Machtkampfs war. Zu diesem ideologischen Machtkampf kam seine Persönlichkeit. Er war ein undogmatischer Charakter, mit schwarzem Humor, Ironie, Sarkasmus und Spott, mit offener Kritik, auch gegenüber den eigenen Genossen. Und die können, auch wir mussten diese Erfahrungen machen, das gar nicht gut ertragen. Roque Dalton thematisiert in seinen Gedichten die Konflikte in El Salvador. Sie reden von den politischen Auseinandersetzungen, von den sozialen Problemen, vom Elend der Unterdrückten. Seine Lyrik markiert eine fundamentale Wende in der Literatur von Zentralamerika. Sie vollzieht eine ethische Wende, will politischen und sozialen Einfluss nehmen. Und sie vollzieht eine poetische Wende:„Poesia, perdoname por haberte hecho comprender/ que no estás hecha sólo de palabras“ – „Poesie, verzeih mir, das ich dir geholfen habe zu begreifen/ dass du nicht nur aus Wörtern gemacht bist!“
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    16 mins
  • Folge 51: Die Launen der Zicke
    May 13 2025
    Es ist das Jahr 1956. Das Saarland, bisher von Frankreich verwaltet, kommt zur BRD. Robert ist neun, als sein Vater beschließt, seinem französischen Chef nach Marokko zu folgen und seine Familie mitzunehmen. Nach der langen Fahrt mit einem klapprigen DeuxCheveux, bei der sich Robert, vom ständigen Streit seiner Eltern genervt, an die Zeit seiner Kindheit im Saarland erinnert, landen sie in der französischen Kolonie im Grenzgebiet zwischen Marokko und Algerien, wo der Vater in einem Zinkbergwerk arbeitet und wenig zu Hause ist. Während Robert die fremde, wüstenähnliche Gegend erkundet, die auf algerischer Seite Schauplatz des Kolonialkriegs zwischen Frankreich und Algerien ist, und einheimische Freunde findet, bleibt die Mutter, die nicht französisch spricht, isoliert in der Siedlung zurück. Mit der Zeit wird sie immer seltsamer: Sie legt sich einen wahren Zoo von Tieren zu, in deren Mittelpunkt eine halbverreckte Ziege steht, die sie aufzupäppeln versucht. Aus ihrem schrägen Verhalten wird bald eine Boderline-Krise, die mit einem fulminant erzählten Showdown endet. Genau genommen müsste Dominik Bollows Buch also „Die Launen der Zicke“ heißen, denn es ist ja die Mutter, die immer wunderlicher wird, während das Tier nur krank und nicht launisch ist. Dominik Bollow wurde 1984 in Saarbrücken geboren und lebt in Berlin. Für das Manuskript seines Debütromans, in dem er Teile seiner Familiengeschichte aus der Perspektive seines damals neun- bis fünfzehnjährigen Vaters erzählt, erhielt er 2020 das Ludwig-Harig-Stipendium. In Folge 51 reden Ralph Schock, ehemaliger Chef der Literaturabteilung des SR, und Theo Schneider mit dem Autor Dominik Bollow, der ausführliche Passagen daraus liest.
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    55 mins
  • Folge 50: Die sprachliche Gestalt von Glück: Das gelungene Gedicht!
    May 13 2025
    Im vorigen Jahr ist er 80 geworden: Jürgen Theobaldy. Er stammt aus Ludwigshafen, ist im Mannheimer Arbeitermilieu aufgewachsen, von dem viele seiner frühen Texte inspiriert sind. In Heidelberg hat er studiert und an der Studentenbewegung teilgenommen, dann ist er nach Berlin gezogen und seit vier Jahrzehnten lebt, arbeitet und liebt er in der Schweiz. Als Dichter hat er Literaturgeschichte geschrieben, als er und andere junge Autoren in den 70er Jahren die deutsche Lyrik erneuert haben mit „Alltagslyrik“ und „Neuer Sensibilität“. Indem sie alltägliche Erfahrungen zum Gegenstand ihrer Gedichte machten und in umgangssprachlichen Redeweisen formulierten. Und im Gegensatz zu damals verbreiteten Forderungen politisch propagandistisch zu schreiben, bestanden sie auf der Wichtigkeit auch ihrer ganz persönlichen, intimen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen und auf deren Ausdruck in ihrer Literatur.
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    1 hr and 10 mins